Winter

Eines Tages verabredete sich Alwin mit einem Freund zum Schlittenfahren auf der Wiese. Der Freund brachte eine alte Autohaube mit. Die beiden mussten ausprobieren, wie gut die Fahrt mit der Haube ging. Sie setzten sich darauf, nahmen Schwung und los ging die wilde Fahrt. Die Freude war groß, denn so viel Geschwindigkeit bekamen die Schlitten nicht. Mit lautem Scheppern meisterten sie die Sprungschanzen. Dabei wurden sie heftig durchgeschüttelt und hielten sich krampfhaft an den Verstrebungen fest. Der Zaun kam immer näher. Sie legten sich flach auf ihr Gefährt. Glücklicherweise fehlte die unterste Reihe Stacheldraht. Mit Karacho ging es unter dem Zaun hindurch und im hohen Bogen hinunter in das gefrorene Bachbett. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde und das Eis knackte kurz, bevor es mit lautem Krachen zusammenbrach. Mit nassen Klamotten krochen sie bibbernd, lachend und fluchend aus dem Bach und liefen auf dem schnellsten Weg nach Hause. Es hatte sich gelohnt, so eine wilde Fahrt hatten sie noch nie erlebt.

Schlachtfest

Einige Jahre später, Alwin war 17 und sein Bruder Werner 13 Jahre alt, wollten sie beim Schlachten, zusammen mit dem Vater, das Schwein aus dem Stall holen. Der Vater und Alwin gingen in den Schweinestall, um dem Schwein ein Strick um ein Bein zu binden. Werner blieb in der offenen Tür stehen, damit das Schwein nicht herauslaufen konnte. Bevor sie das Seil befestigen konnten, lief die Sau los und Werner, der breitbeinig dort stand, durch die Beine. Der ließ sich vor Schreck fallen und saß rücklings auf dem Rücken des Tieres und hielt sich krampfhaft am Schwanz fest. So rasten die beiden quer durch den Stall. Futtereimer und Mistgabeln flogen durch die Gegend. Das Schwein quiekte vor Panik, Werner schrie vor Angst, Alwin konnte sich vor Lachen kaum halten und der Vater versuchte das Tier aufzuhalten. Es dauerte ein Weilchen, bis das Schwein in eine Ecke gedrängt und angeleint war.

Alwins Eltern schlachteten jedes Jahr zwei Schweine, eins Anfang Dezember, das Zweite im Februar. Bereits Tage vorher war die ganze Familie in Aufruhr. Es wurde geplant, große Mengen Gewürze eingekauft und alle Töpfe, Mollen in verschiedenen Größen, zwei stabile Schlachttische aus Eichenholz und der große Kupferkessel in der Waschküche geschrubbt. Alles musste keimfrei sauber sein. Am Tag vor dem Schlachtfest backte die Mutter im Backhaus große Bleche Zuckerkuchen.

Nach dem Abendbrot wurde die Küche leer geräumt und einer von den beiden Tischen hineingestellt. Der Zweite stand bis zum nächsten Morgen in der Waschküche. Da der Schlachter im Ort wohnte, wurde am Abend, nachdem alles vorbereitet war, mit einem Handwagen das Schlachtzeug von ihm geholt. Dabei handelte es sich um einen großen Brühtrog, das Fleischerbeil, viele verschiedene Messer, Wetzstein zum Messer schärfen, Bolzenschussapparat, Fleischhaken, Fleischwolf und Wurstpresse, mit welcher die Wurstmasse in die Därme gefüllt wurde.

Schon früh am Morgen wurde in der Waschküche der Kupferkessel voll Wasser laufen lassen und in dem unter dem Kessel befindlichen Ofen eingeheizt. Im Laufe des Tages wurde viel heißes Wasser gebraucht. Bevor der Schlachter kam, wurde der zweite Schlachttisch nach draußen auf die Einfahrt vor der Scheune gestellt. Die größten Mollen platzierten sie darauf, dann konnte das Schlachtfest beginnen.

Dem Schwein wurde ein Strick ums Bein gebunden und auf die Einfahrt vor der Scheune gebracht. Dann kamen Cousin Kurt, der bei jedem Schlachten zum Helfen dabei war, sowie der Schlachter. Der Vater, Bruder Hartmut und Kurt hielten das Schwein fest und der Schlachter schoss es mit einem Bolzenschussgerät in den Kopf. Das Tier brach sofort zusammen. Jetzt musste alles schnell gehen. Mit einem gezielten Schnitt durchtrennte der Metzger die Halsschlagader. Das herausschießende Blut wurde in einem Eimer aufgefangen und die Oma begann sofort emsig das Blut mit der Hand und anschließend mit einem großen Holzlöffel zu schlagen. Um eine Gerinnung zu verhindern, musste das Blut so lange intensiv gerührt werden, bis es absolut kalt war.

Anschließend wurde das Schwein in den großen Brühtrog gerollt und mit heißem Wasser übergossen. Die Erwachsenen nahmen sich Borstenschaber, die wegen ihrer speziellen Form Glocken genannt wurden, und schrubbten die Haut, bis fast alle Borsten entfernt waren. Jetzt waren kräftige Männer gefordert, die die Molle mit dem Schwein quer auf den bereitgestellten Schlachttisch hoben. Dann wurde das Schwein aus der Molle auf den Tisch gehievt. Nun wurden mit scharfen Messern die letzten stehen gebliebenen Borsten fein säuberlich abrasiert und die Sehnen der Hinterbeine freigeschnitten.  ........

 

Treibjagd

Wenn die Natur sich langsam zur Ruhe begab und der erste Schnee fiel, stand die Treibjagd an. Dies war für die Kinder jedes Mal ein besonderes Erlebnis im Winter. Hierzu trafen sich der Förster, die Jäger und die Treiber an einem Samstagmorgen in der Feldmark. Die Bläser bliesen zur Begrüßung, anschließend hielt der Jagdherr eine Begrüßungsrede und wies auf die Sicherheitsvorschriften hin. Der Förster teilte ein, wo die Jäger zu stehen hatten und wo die Treiber laufen sollten. Sie wurden im Abstand von 20 Metern aufgestellt. Immer abwechselnd, ein Erwachsener ein Kind, damit nichts passiert. Ein Bläser blies das Halali zum Jagdbeginn und schon ging es los. 

Mit lautem Hallo wurde hinter jedem aufgescheuchten Wild hergerufen, bis die Jäger darauf schossen. Das war ein anstrengender Tag. Stundenlang mussten sie durch den Schnee stapfen. Besonders schlimm war es, wenn dazu Sturm und Schneetreiben kam. Dann mussten sie gegen den Wind ankämpfen, der die Kälte durch die Kleidung presste. Mittags wurde eine Rast gemacht. Dann trafen sich alle und es gab belegte Brote und warme sowie kalte Getränke. Dabei wurde erzählt, wer was aufgescheucht und wer was geschossen hatte.

Anschließend wurde die Jagd fortgesetzt. Bevor es dunkel wurde, trafen sie sich erneut und der Bläser blies zum Jagdende. Am Treffpunkt lag das geschossene Wild aufgereiht und jeder konnte bestaunen, was für Prachtexemplare dabei waren. Die Jäger ehrten die erlegten Tiere, indem sie vor ihnen standen, ihre Kopfbedeckung abnahmen, sich verneigten und den Bruch an die Hüte klemmten. Von den Bläsern wurde hierzu die Strecke verblasen. Anschließend verstauten ein paar Helfer die geschossenen Tiere auf einem Wagen und der Rest der Jagdgesellschaft machte sich auf den Weg in die Dorfkneipe.

Dort warteten schon gedeckte Tische auf sie. Die Wirtin hatte gekocht. Gulasch, Kartoffeln, Knödel und Rotkraut. Bevor alle kräftig zulangten, bedankten sich Förster und Jagdpächter bei allen für die Hilfe. Außer dem Essen gab es Bier, Schnaps und alkoholfreie Getränke, soviel jeder wollte. Die Jagd wurde noch einmal ausführlich besprochen und je länger die Zeit voran Schritt, umso größer wurden die erlegten Tiere. Von den Erwachsenen kam an dem Abend niemand nüchtern nach Hause.

„Ihr habt als Kinder ja richtig Abenteuer erlebt.“ Stellte ich neidisch fest.

„Ja, wir hatten viel Spaß“, erwiderte Alwin. „Die heutige Jugend kann ich nur bedauern, dass die meisten so etwas nicht mehr erleben können.“